35. Es ist nicht mehr weit!

Arkadienweg: Alladorf – Kleinhül (sehr schön)
Arkadienweg: Alladorf – Kleinhül (sehr schön)

Arkadienweg: Alladorf – Kleinhül


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Donnerstag, der 18. Oktober 2012.

Es wird spürbar kälter. Heute laufen wir et­was früher los, das heißt für uns so gegen 11 Uhr. Der Morgen ist frostig, unser Atem wird schon weiß. 

 

Alladorf scheint ausschlafen zu wollen. Niemand ist auf der Straße. Es gibt ein Gasthaus, das wie schon-lange-geschlossen aussieht. Um den Anschluss des Jean-Paul-Weges weiter nach Kleinhül zu finden, durchqueren wir das enge Lochautal. Auf der anderen Talseite schlängelt sich ein Sträßchen wieder auf eine Höhe und bringt uns zum Schnaufen. Wie gerufen winkt uns dann in einer Kurve unerwartet ein kleiner Rastplatz mit der Landschaftstafel 25:

Auf dem Jean-Paul-Weg bei Alladorf – Landschaftstafel 25 »Romantisches Alladorf« und Stationstafel 152 »Das Dorf als fränkisches Ideal«
Auf dem Jean-Paul-Weg bei Alladorf – Landschaftstafel 25 »Romantisches Alladorf« und Stationstafel 152 »Das Dorf als fränkisches Ideal«

Romantisches Alladorf

 

Am 3. Juni 1793 ritten die Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck auf ihrer berühmt gewordenen »Pfingstreise« von Sanspareil nach Bayreuth. Und Tieck schreibt in sein Tagebuch: »Die Gegend um Sanspareil ist sehr unan­genehm, sie hat sehr etwas Wüstes. Allendorf, ein Dorf, liegt sehr niedlich, wir ritten steil hinunter.«

Damit meinte er den lange Zeit verwachsenen, inzwischen jedoch fahrbar ge­machten und privat genutzten Hohlweg, der aus Richtung Kleinhül von der Hoch­fläche fast in gerader Linie ins Lochautal hinab- und nördlich an der Alladorfer Kirche vorbeiführt.

 

Der alte Wegverlauf wurde längst durch eine asphaltierte Serpentine ersetzt, die oberhalb des Dorfes von der alten Trasse abzweigt. Die Reiter mussten in der alten noch erhaltenen, aber baulich stark veränderten Schmiede halten, denn »Wackenroder’s Pferd hatte ein Eisen verloren, und musste hier neu beschlagen werden« …

»Ein ziemlich breiter, aber nicht tiefer Bach floß durch das ganze Dorf und gab ihm ein sehr romantisches Ansehn«. Die Dichterfreunde überquerten ihn noch über eine Furt, die erst 1892 durch eine Brücke ersetzt wurde.

 

Auch das denkmalgeschützte frühere Gasthaus Lauterbach nahe der Lochau, das schon 1503 als Erbschenkstatt erwähnt wird und den hohenzollerischen Adler (Wappentier der Hohenzollern, also der Preußen) als Wirtshausschild trägt, be­grüßte damals die Reisenden an der alten Landstraße.

 

Doch danach heißt es im Tagebuch: »Nachher war die Gegend wieder ziemlich un­interessant, wir ritten über mehrere Kalkberge, hatten bald Aussichten, bald gar kei­ne, so kamen wir endlich auf die Chaussee nach Bayreuth.«

Und der Stationstafel 152: 

Das Dorf als fränkisches Ideal

 

In einem französischen Buche lebt man immer in der großen Welt und am Hofe. In einem deutschen oft auf Dörfern und Marktflecken.

 

Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«

 

 

Lasse sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen, sondern wo­möglich in einem Dorfe, höchstens in einem Städtchen.

 

Im Dorfe liebt man das ganze Dorf und kein Säugling wird da begraben, ohne daß jeder dessen Namen und Krankheit und Trauer weiß […] – und dieses herrliche Teilnehmen an jedem, der ein Mensch, welches daher sogar auf den Fremden und den Bettler überzieht, brütet eine verdichtete Menschenliebe aus und die rechte Schlagkraft des Herzens.

 

Und dann, wenn der Dichter aus seinem Dorfe wandert, bringt er jedem, der ihm begegnet, ein Stückchen Herz mit und er muß weit reisen, eh er endlich damit auf den Straßen und Gassen das ganze Herz ausgegeben hat.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

Blick zurück über Alladorf,  das unten – hier unsichtbar – im Lochautal liegt, hinweg auf die gegenüberliegende Höhe mit (gestern gewandertem) Markgrafenweg
Blick zurück über Alladorf, das unten – hier unsichtbar – im Lochautal liegt, hinweg auf die gegenüberliegende Höhe mit (gestern gewandertem) Markgrafenweg

Ja, jetzt erreichen wir auch hier die Hochebene und blicken zurück. Erster Rauch steigt aus den Alladorfer Kaminen. In der Ferne erkennen wir den Markgrafenweg, den wir gestern gelaufen sind, und jetzt versteht man auch, wieso die Aussicht dort so wunder­voll war. Die Höhen sind hier karg, nur Felder und Wiesen, kaum Wälder, die die Sicht versperren, wie im Fichtelgebirge.

 

Die Äcker sind längst abgemäht, manche auch schon gepflügt. Kahl, braun und grau liegen sie vor uns. Alles schien so windstill. Doch hier oben pfeift uns langsam der Wind doch ganz munter um die Ohren, merken wir und ziehen die Krägen hoch. Weit hinten tuckert ein Trecker, ein Reh springt von uns aufgescheucht über die Felder ins schützende Gehölz.

Wie steinig der Boden hier ist! Das fällt sogar uns auf. Uns, die wir nicht mit Pferden unterwegs sind, welche hier dann ihre Eisen verlieren würden, oder uns, die wir keine Bauern sind, und uns wegen der kargen Erträge sorgen müssten. Uns lumperten »Stadt-Wanderern« fällt es auch auf. Man könnte Mitleid krie­gen. 

Über Kalkberge zieht sich der Weg
Über Kalkberge zieht sich der Weg

Dazu Landschaftstafel 26:

Auf dem Jean-Paul-Weg zwischen Alladorf und Kleinhül – Landschaftstafel 26 »Steiniger Boden«
Auf dem Jean-Paul-Weg zwischen Alladorf und Kleinhül – Landschaftstafel 26 »Steiniger Boden«

Steiniger Boden

(Steiniger Acker am Waldrand zwischen Alladorf und Kleinhül)

 

Verschiedene Reisende berichten Ende des 18. Jahrhunderts von den auffallend steinigen Äckern. So klagen die Dichterfreunde Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck auf ihrem Pfingstreise-Ritt 1793:

»Besonders ist um Sanspareil aller Acker mit Steinen dicht übersäet, und die Wege sind eng, höckerig und ganz voller Steine […] Die Gegend ist auch zum Theil öde«.

 

Und Johann Gottfried Köppel schildert die Gegend im selben Jahr:

»Die Felder sind mit einer Art kleiner Kalchsteine gleichsam übersäet, woraus überhaupt die ganze Felsenmasse in hiesiger Gegend durchgehends bestehet, und die während des Pflügens ein unaufhörliches Geklapper und Gerassel geben, und es eben daher nothwendig machen, die Ochsen mehrenteils auf den vorderen Füssen mit Eisen zu beschlagen.«

 

Aber Pfarrer Johann Gottfried Kessel sieht auf seiner Reise von 1788 genauer hin:

»Die Natur schein hier ein armseliges Gewand zu tragen … Aber hinter dieser rauhen Hülle wohnt doch Segen, aus dem Steinboden wächst doch Reichthum. Die Furche steht dünne und sparsam; aber die Körner sind edler, geschätzter, und werden theurer bezahlt, als das Thalgetraidte. An einigen Orten sah’ ich fetten, frechen und dichtstehenden Hafer, der zur Fütterung des Viehs abgeschnitten wird. Das Wachsthum ist hier kräftig, schnell, deswegen hat man hier auch das Sprüchwort: man höre die Rüben wachsen.«

Hier oben gibt es Wald, einen Mischwald. Hier finden wir Pilze, Fliegenpilze, ein paar Schirmpilze und Flaschenboviste. Man möchte jetzt nach Steinpilzen suchen, aber wir wollen ja weiter.

Das Objekt der Begierde

Fidel hat heute ganz viel Energie. Immer wieder fordert er uns zu seiner Art Stöckchen-Spielen auf. Ich weiß, ich habe es schon öfter beschrieben, aber ich erzähle es noch einmal: Fidel apportiert keine Stöckchen. Er deportiert sie. Das heißt, er sucht sich ein Stöckchen, wovon es jetzt hier im Wald reichlich gibt, schnappt es, wirft es hoch, um es dann geschickt mit seiner Schnauze wieder aufzufangen. Wir sollen also staunen, welch seltenes Spielzeug er besitzt und sogar fantastisch beherrscht.

Dann tanzt er mit seinem Stöckchen vor uns her, springt ausgelassen wie ein kleines Kind. Jetzt müssen wir so tun, als ob wir es auch haben wollten. Wir greifen danach, aber Fidel läuft flink samt Stöckchen davon. Nach ein paar Metern stoppt er, dreht sich zu uns und lässt sein Prachtstück demonstrativ auf den Boden fallen, so als ob er sagen wolle: Hier, ich geb’ es euch, aber holen müsst ihr es selbst! Natürlich war das ein Trick, denn Fidel will nur, dass wir uns in Bewegung setzen, um jetzt um das Objekt der Begierde zu kämpfen. Er hatte nie vor, uns sein Stöckchen zu überlassen. Es ging ihm nur darum, wer ist schneller? Er oder wir? Meistens ist Fidel der Schnellere, was er längst weiß. Das Ganze dauert fünf Minuten, dann hat er keine Lust mehr und trollt sich davon. Stöckchen seien ihm eigentlich schnuppe, ob wir das nicht wüßten? 

Ach ja, jetzt verstehe ich sein Desinteresse, es gibt wieder etwas zu lesen. Schwupp ist Fidel auf der Bank bei der nächsten Stationstafel, hat schon längst alles verstanden und sagt zu mir: »Siehst du, da steht es genau beschrieben. Jean Paul wußte es schon!« Ich lese Stationstafel 153 und bin wieder einmal sprachlos.

Auf dem Jean-Paul-Weg kurz vor Kleinhül – Stationstafel 153 »Wollt ihr lehren, was das Vieh weiß?«
Auf dem Jean-Paul-Weg kurz vor Kleinhül – Stationstafel 153 »Wollt ihr lehren, was das Vieh weiß?«

Wollt ihr lehren, was das Vieh weiß?

 

Uns greift ein an der Straße verwestes Vogelgerippe an,

aber keines, das auf unserem Teller liegt.

 

Nämlich das Kind lerne,

alles tierische Leben heilig halten,

kurz, man gebe ihm das Herz eines Hindus

statt eines klassischen Philosophen.

 

Ich wollte, man könnte die Menschen so zahm machen – wie Tiger.

 

Keine Lehre findet so viele Lehrer als die Glückseligkeit oder Lustlehre,

als ob diese nicht schon in jedem Katzen-, Geier- und anderen Tier-Herzen

ihren Lehr- und Thronsitz aufgeschlagen hätte.

Wollt ihr lehren, was das Vieh weiß?

Jetzt geht es nur noch ein bisschen bergab … dahinten blitzen schon die ersten Dächer von Kleinhül hervor.

Kurz vor Kleinhül
Kurz vor Kleinhül

Wir purzeln also sozusagen in Kleinhül hinein, landen am Dorfweiher und somit direkt neben den beiden nächsten Tafeln des Jean-Paul-Weges, einmal Landschaftstafel 27 »Wasserarmut« und einmal Stationstafel 154 »Narrheit«. Hier wurden die Tafeln an einem großen Baum befestigt.

Wasserarmut

 

»Das Wasser wird hier (in Sanspareil), wenn es regnet, in Cisternen gesammlet, meist aber zum täglichen Gebrauch von Wonsees, eine gute Viertel-Stunde weit, aus dem Thale über einen felsigten Berg theils in Fässern herbeygeführt, theils auch von denen, die dieses nicht können, mit vieler Beschwerde in Buden auf dem Rücken täglich Abends geholt. Dieß ist eines von den Uebeln, was den Aufenthalt des (mark­gräflichen) Hofes ehemals so erschwerte.«

Johann Gottfried Köppel, die Eremitage zu Sanspareil, 1793

 

»Der Wassermangel ist in diesen Gegenden so groß, daß manche Dörfer es auf 4 Stun­den weit holen, und Cisternenwasser gebrauchen müssen. Diese Cisternen nennt man hier Hielen, daher die Dörfernamen: Großenhiel, Kleinhiel usw. Der viele Kalkstein saugt unstreitig alles Quellwasser ein, und verursacht den Mangel.«

Friedrich Philipp Wilmsen, Erzählungen einer Reise …, 1796

 

»Durch den süßesten Genuß an allem, was die Natur Schönes hat, Wasser ausge­­nommen, welches die Einwohner eine Viertelstunde weit von dem Fleken – Wonsees holen, oder in Hühlen (Cisternen) von Schnee- und Regenwasser auffangen müssen, wird man dagegen belohnt, so bald man den Ort und vorzüglich den seltenen Lust­hain oder die Eremitage [Sanspareil] erreicht hat, wo die Natur für diese majestätisch schöne Gegend so unendlich viel gethan hat.«

Georg Wolfgang Augustin Fikenscher: Eremitage, Fantaisie und Sanspareil …, 1812 

Auf dem Jean-Paul-Weg in Kleinhül – Landschaftstafel 27 »Wasserarmut« und Stationstafel 154 »Narrheit«
Auf dem Jean-Paul-Weg in Kleinhül – Landschaftstafel 27 »Wasserarmut« und Stationstafel 154 »Narrheit«

Narrheit

 

Das Leben fängt wie das griechische Drama mit Possen an.

Jeder Mensch glaubt, er sei unter allen der wichtigste, der beste;

aber nur der Narr und der Dummkopf haben den Mut, es zu sagen.

Aus einer Frau ohne Torheiten wäre weiter nichts zu machen als – ein Mann.

 

Das Bedürfnis zu lieben,

zwingt zu größeren Torheiten als die Liebe selber.

 

Narrheiten hat, so wie Eingeweidewürmer, jeder vernünftige Mensch,

und niemand ist dadurch vom andern verschieden;

nur ein langer unaufhörlicher Bandwurm des Kopfes,

so wie einer des Unterleibs, unterscheidet die Personen.

 

Es liegt im gewöhnlichsten Menschen der kurze Abriß zum Sonderbarsten.

Wir freuen uns auf eine Einkehr in Kleinhül. Hier gibt es die »Bauernstubn«, eine urige Bauernkneipe in einem denkmalgeschützten Bauernhof. In die­sem restaurierten Gebäude sind im oberen Geschoss die original Bauern-Schlaf­stuben erhalten und zu besichtigen, quasi ein kleines Museum. Unten, in der ehemaligen Wohnstube, befindet sich nun die Gaststube. Zudem gibt es draußen im Hof einen schönen Biergarten. 

 

Wir wissen aber aus Erfahrung, dass diese kleine, junge Schankstube, die kein Traditionswirtshaus ist, es hier schwer hat. Deshalb wechselten schon des Öfteren die Pächter, und es war immer wieder »vorübergehend geschlossen«. Nun hoffen wir inbrüns­tig, dass »offen« ist.

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Aber leider, leider, leider ist heute »geschlossen«! Und wenn so etwas passiert, leiden wir tatsächlich. Unglaublich tief. Wir sind fassungslos, weil uns gerade eine wich­tige Freude zerplatzt ist. 

Jetzt muss aber schnellstens eine neue Idee her. Wo kön­nten wir noch hin? Was liegt in der Nähe? Haben die auf? Was für ein Tag ist heute eigentlich? Peter kennt fast alle Ruhetage der umliegenden Gasthäuser aus­wendig. Gott sei Dank ist heute nicht Montag, dann hätten die meisten zu. 

Da muss doch was gehn! Aber vor lauter Stress fällt uns nichts mehr ein. Gut, dann fahren wir halt nach Hause, nach Hollfeld, ist ja nicht weit, kochen wir allein, speisen ohne Plappern. O Kummer und Trauer!

 

Aber dann springt doch eine feine Bieridee frech in unsere mittlerweile schwarz­tragende Gedanken­welt und verkündet: es gibt Rettung! In der »Alten Eisenbahn«, beim guten Wolli im nahen Wadendorf!!! Super Essen, super Bier, super Garten, super Wirt. Wie konnten wir Wolli vergessen? Nichts wie hin! 

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Da wir jetzt auf etwas anderes fixiert sind, hier liebe Leserinnen und Leser, wenigstens zwei schöne Felsen-Landschaftsbilder zum Ausstieg. 

Felsenlandschaft bei Sanspareil
Felsenlandschaft bei Sanspareil
»Ja, hier gibt es wenig Wasser, dafür viele Schönheiten wie mich …«, verspricht uns der Lange Stein bei Sanspareil
»Ja, hier gibt es wenig Wasser, dafür viele Schönheiten wie mich …«, verspricht uns der Lange Stein bei Sanspareil

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