31. Leben und Sterben in Bayreuth – Tod

Bayreuth Stadtfriedhof – Grab von Jean Paul und dessen Sohn Max
Bayreuth Stadtfriedhof – Grab von Jean Paul und dessen Sohn Max

Bayreuth – Stadtfriedhof


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Weitere Informationen über Jean Paul und Bayreuth: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul

Wir befinden uns nun im Jahr 1821. Jean Paul ist 58 Jahre alt. So langsam plagen ihn körperliche Beschwerden. Dr. Philipp Hausser schreibt:

… Dabei kränken Jean Paul seine immer stärkeren körperlichen Mängel. So kann er nicht zu Emanuel gehen, weil ihm der feindliche Winter zu einem Fußbade gegen »nächtliche Zahnschmerzen und andern Kälte-Einfluß« nötige. Immer wieder läßt er sich zur Ader. Sogar von einer Hellseherin wird er dazu angehalten, die sein »ganzes Innere» gesehen habe, wie er selbst im »Siebenkäs« es beschrieben. Als Firmian Siebenkäs hatte er da schon durchlitten, was ihn nach mehr als zwanzig Jahren quälen sollte. […]

 

Die Sünden von Jahrzehnten haben die Leber versagen lassen. Diese ist es, welche Reizbarkeit und Stimmungswechsel auslöst. Auch die Herzkraft erlahmt mehr und mehr, die Beine schwellen, die Gichtanfälle tun ein übriges. Jean Paul wähnt, daß die mindere Güte einer Biersorte, das Schwefeln eines Weines seine Beschwerden mehren, läßt Weinsorten vom Bayreuther Apotheker Bachmann untersuchen und die Hellseherin kosten, ohne daß er erkennen will, daß doch nur das belebende Grundelexier seiner Getränke schuld hat. Dabei gibt es keinen Arzt in Bayreuth, mit dem er sich nicht unterhält, von dem er sich nicht medizinische Bücher leiht. Vielleicht haben ihm auch die Mediziner zu den Aderlässen geraten; denn falsch waren sie sicher nicht.

 

Zu alledem liegt Sohn Max dem Vater auf der Leber, die, einmal vorgeschädigt, mitsamt dem geschwächtem Körper Kümmernissen so leicht unterliegt. Der Sohn war nicht ohne Grund - denn nach dem ganzen Bild ist eine schizoide Veranlagung oder gar eine Schizophrenie nicht von der Hand zu weisen (diagnostiziert Philipp Hausser als Arzt) – durch unüberlegtes Verleihen seiner an sich ausreichenden väterlichen Mittel und durch seinen Umgang mit einer Gruppe junger Mystiker körperlich geschwächt und seelisch verelendet. …

Ach Max, mein Max!

Max ist 17 Jahre alt. Zunächst studiert er in München, dann in Heidelberg. Natürlich will Jean Paul bei der Erziehung seines einzigen Sohnes auf gar kei­nen Fall versagen. Das heißt, sein Sohn darf niemals ein Versager werden. Aber Jean Paul ist der große Dichter und auch noch Pädagoge, was kann da sein Sohn noch werden? So ist Maxens Scheitern eigentlich vorprogrammiert. 

 

Anstatt sich – wie sein Vater – mit Naturwissenschaften, Geisteswissen­schaften, Sprachen, Philosophie und Kultur zu beschäftigen, verfällt Max der Mystik und Schein-Märtyrern. Er verehrt einen Studenten aus Wunsiedel, der den Mannheimer Dramatiker, Theatermacher und Verleger August von Kotzebue ermordet hat und dafür hingerichtet wurde. Karl Ludwig Sand, so hieß der Mörder, studierte Theologie und war ein radikaler Burschenschaftler, 

… der sich zum Anhänger der »Unbedingten«, eines Flügels der Burschenschaft, machte, der politischen Mord nicht ausschloss. …

Und August von Kotzebue war für Sand ein 

… Verräter an der Idee des Sittlichen, Richtigen und Wahren, der den Tod verdiene. …

Wikipedia

 

Also diskutierte man allerorts, ob dieser politisch motivierte Mord gar ein Tyrannenmord sei, oder ob ein Dolchstoß überhaupt ideologisch gerechtfertigt werden kann, und ob die Hinrichtung Sands, die der Verurteilte einem Gna­den­gesuch vorzog, nicht ein Märtyrertod sei? Was ist wahr und was ist falsch? All das ist verwirrend genug für junge, suchende Seelen. Woran sollen sie sich festhalten? Wo ist der richtige Weg? Wem kann man trauen? Ist immer das drin, was drauf steht? Das ist heute eigentlich nicht anders. Radikalisierung gab es immer schon.

Jean Paul spricht in vielen Briefen mit seinem Sohn Max, kämpft um ihn, beschwört ihn, fleht ihn an, doch alles zu bedenken. Aber Max sammelt lieber Reliquien von Sands Hinrichtung. Späne aus dessen Schafott. Andere tau­chen Tücher in das Blut des Hingerichteten oder schneiden Locken vom ihm ab. 

Dann wird Max immer kränker, Schwermut überfällt ihn, er wirft das Geld des Va­ters aus dem Fenster, jemand droht ihm mit einem Duell. Jean Paul hält es nicht mehr aus, will zu seinem Sohn nach Heidelberg reisen, schafft es selbst aber nicht mehr. Das Kutschfahren ist ihm im Alter zu beschwerlich geworden. Über Monate dauerte der hingebungsvolle Briefverkehr.

 

Aber dann:

… Am 18. September stürzt Max fiebernd in Bayreuth in das Haus in der Fried­richstraße 5; tagelang hatte er sich durch Postkutschen-Etappen heimgequält. Trotz Dr. Walthers Mühen und des magnetischen Schlafes, den der Vater ausgelöst zu haben scheint, stirbt Max nach wenigen Tagen. Ein Nervenfieber, wie man damals Typhus oder auch Ruhr nannte, soll ihn gefällt haben. Dies kann nur eine inter­currente (zwischenzeitlich auftretende) Erkrankung gewesen sein, die dem längst Zerrütteten einen gnädigen Tod gab. 

– Das Ende so vieler in den Sohn gesetzter Hoffnungen traf ihren Mann, wie sich Karoline noch 30 Jahre später mit dem Tod eines Schwabacher-Sohnes, eines Münchner Studenten in Maxens Alter, vergleichend erinnert, fast tödlich. …

Dr. Philipp Hausser

 

Max war noch so jung! Jean Paul trifft der plötzliche Tod seines Sohnes schwer.

So viel Sehnsucht nach Zuhause

Karoline reist mit Tochter Odilie nach Würzburg.

… Die Tochter soll wegen einer Rückgratverkrümmung von einem allseits gerühm­ten Professor behandelt werden. …

Dr. Philipp Hausser

 

Jean Paul vermisst die beiden jetzt sehr. Er reist nach Dresden, vielleicht hilft das über alles hinweg. Er trifft Ludwig Tieck, dem Jean Paul von den Romantikern am meisten zugetan ist, Carl Maria von Weber, seinen Neffen Richard Otto Spazier, der ihm in seinen letzten Lebenswochen nicht nur als Sekretär diente, sondern auch sein Biograph wurde, und jenen Grafen von Kalkreuth, dessen Bedienstete seinem Pudel Ponto brennendes Terpentinöl in die Ohren flößten. Ich schrieb darüber in der 8. Etappe: »Begegnung mit Paul«. 

 

Jean Paul wird wieder einmal porträtiert und erhält unzählige Einladungen zu Mahlzeiten und Ausflügen und fühlt sich zunächst recht wohl im schönen, gefälligen Dresden. Dann aber überfällt ihn die Sehnsucht nach Zuhause, nach Karoline, nach Schwabachers Garten. 

Tod eines Freundes

Das Jahr 1822 wird für Jean Paul auch nicht besser. Sein Freund Heinrich Voß d. J. (der Sohn des Homer-Übersetzers Heinrich Voß) erkrankt.

 

Helmut Pfotenhauer schreibt in seinem Buch »Jean Paul – Das Leben als Schreiben«:

… Am 17. August 1822 schickt Jean Paul an Heinrich Voß die letzten Kapitel des dritten Bandes des »Komet«. Voß erkrankt. Er bemüht sich noch in seinen letzten Stunden mit der Korrektur des Werks des Freundes. Am 20. Oktober stirbt er (an Wassersucht) – auch dieser Tod war für Jean Paul nicht vorhersehbar und trifft ihn unvorbereitet, läßt ihn zunächst sprachlos. …

 

Am »Komet« arbeitet Jean Paul nicht mehr weiter. Ein neues Werk sollte über die Unsterblichkeit der Seele sprechen. Sein Titel ist »Selina oder über die Un­sterblichkeit«. Jean Paul will gegen den Tod anschreiben, aber er wird nicht fertig. Er wird nicht mehr fertig, mit allem nicht mehr.

Langsames Sterbengehen von sich selbst

Ab 1823 klagt der Dichter über den Zustand seiner Augen, seiner Sehschwäche, des Nebels und des Lichtes, die Sonne blendet ihn. Er kann immer weniger sehen. Bald schon müssen andere für ihn schreiben, während er diktiert. Dann muss er sich vorlesen lassen, Brillen helfen auch nicht mehr. Er leidet unter Hautwunden, die nicht heilen, Furunkeln und Flechten, Wechselfieber, Durch­fällen und der Bauchwassersucht. Die Nächte sind für ihn eine Qual.

 

Aus Helmut Pfotenhauer:

… Bereits für 1821 diagnostizierte einer von Jean Pauls späteren Biographen, der Bayreuther Arzt und Jean-Paul-Sammler Philipp Hausser: »Zu Jean Pauls schlech­tem Befinden dürfte neben Gicht und Leberzirrhose maßgeblich Zuckerkrankheit beigetragen haben (Dauerdurst, nachts Wasserkrüge am Bett). Auch die weitgehende Erblindung wurde wohl außer durch Grauen Star durch diabetesbedingte Netz­hautveränderungen verursacht.« …

 

Aber der Dichter kämpft, konsultiert Augenärzte, reist noch bis nach Nürnberg. 

 

Im November 1823 macht der Maler Lorenz Kreul in Bayreuth Station und fertigt das bekannte Pastell-Bildnis von Jean Paul an. Bei dieser Gelegenheit entstanden auch die beiden Porträts des Ehepaars Schwabacher.

 

Zu seinem letzten Geburtstag, am 21. März 1825, huldigten Bayreuther Gymnasiasten ihn mit einem Fackelzug. Jean Paul stand an seinem Fenster und schaute dem Treiben freudig zu. Das Werk »Selina« konnte er beinahe fertigstellen.

Sein Novembertag

November 1825. Jean Paul kann selbst kaum mehr gehen, er muss durch die Wohnung geführt werden. Karoline und die Kinder kümmern sich rührend um ihn. Bald schon kann er auch dem Vorgelesenen nicht mehr folgen, dann: 

… verlangt er nach Musik. Die begleitete ihn sein ganzes Leben, angefangen vom vorzüglichen Klavier- und Orgelspiel seines Vaters. Musikalische Ausbil­dung hatte er nie. Noten kann er nicht lesen. Dennoch gehörte seit Leipzig ein geliehenes Klavier in sein Arbeitszimmer. Stundenlang konnte er auf ihm phanta­sieren. Wo immer er gute Konzerte hörte, war er entzückt. Wenn in seinen Romanen Gefühle hochschlagen, sind immer Töne beteiligt: Flöten, Harfen, Hörner, Glocken. Wenn Kinder singen, kommen ihm die Tränen. Jetzt musizieren am Abend Frau und Tochter für ihn. 

Ein Klavier steht in seinem Zimmer, das bessere aber bei Karoline. Die Türen werden geöffnet. Er liegt auf dem Kanapee, die Augen geschlossen, das Gesicht zur Wand gewendet und lauscht den Liedern, die man für ihn singt: Volkslieder, Lieder von Zelter und Schubert. Denn die »einfachen Tongesänge« waren es schon immer, die »ihn wie Erdstöße bewegten«. […]

In der Ecke liegt auf einem Kissen der Pudel, neben Rosenholzstock und Umhängetasche. Nie mehr wird Jean Paul die Wanderung zur Rollwenzelei antreten können. …

Günter de Bruyn

 

Richard Otto Spazier ist nun dauernd bei ihm und er wird die letzten Stunden von Jean Paul für uns niederschreiben: 

… ich immer neben ihm saß, bemerkte ich wieder auf seiner Stirn und in seinen Bewegungen das Arbeiten der Gedanken. Von Zeit zu Zeit richtete er sich mehr auf, legte die Hand auf den vor ihm stehenden Tisch und beugte sich mit dem Kopf und dem Körper vor, als wenn er eine klarer ihm werdende Idee verfolgen wollte. Dann sprach er von Zeit zu Zeit einige Worte, die ich wie alle mit dicht an seinem Mund gehaltenen Ohr wegnehmen mußte.

In seinem Hesperus waren seine Gedanken. Er wollte Veränderungen darin machen; die Austauschung der Kinder gefiele ihm nicht recht; sie müßte den Leser martern. Dann tat er plötzlich die seltsame Frage an mich, ob ein Buch doch noch großen Wert haben könnte, wenn es auch den Zweck, die ihm vorgesetzte Aufgabe nicht ordentlich erreicht hätte. Auf meine Entgegnung, daß es ganz auf das Buch an­komme, sagte er sehr bestimmt: der Hesperus sei ein solches. …

Der Mittag war unterdes herangekommen; er glaubte, es sei Nacht, und wünschte in sein Bett gebracht zu werden. In seine Schlafstube ward er nun auf seinem Räderstuhle hinübergefahren, nachdem er heute gerade an diesem Morgen gar nicht eingeschlummert, sondern immer aufrecht und geistestätig dagesessen war. Aber immer und oft hatte er Berührungen empfunden und häufig gefragt: »Bist du es?« Als er zu Bett gebracht worden war, mußten, wie immer des Nachts, sein Tisch, seine Repetieruhren (Taschenuhr mit Schlagwerk, das bei Druck auf einen Knopf die letzte volle Stunde und die seitdem abgelaufeneren Viertelstunden anzeigt) und ein Krug mit kaltem Wasser, den er bis vor kurzer Zeit immer die Nacht über ausgetrunken, an sein Bett gebracht werden. Bald darauf brachte seine Gattin Blumen, die eine Freundin ihm gesandt, welche von jeher seine Tage zu verschönern gesucht. Er freute sich innig über das Bild von Blumen, das vor seiner Seele stehen mochte (denn ihren Duft genoß er wohl nicht mehr), und zerknickte mit den Worten »meine schönen Blumen« sie berührend selbst ihre Gestalt. Manchmal sprach er noch; aber als ich, über dessen Anwesenheit zu der von ihm geglaubten Nachtzeit sich gar nicht verwunderte, ihn das letztemal nicht mehr verstanden hatte und ihn öfter fragte, waren seine letzten Worte: »Wir wollen’s gehen lassen«, da er fühlen mochte, wie seine Sprache nun kein empfängliches Ohr mehr gefunden. Kurz darauf sank er in einen tiefen Schlaf, fing in ihm immer mit den Händen nach der Bettdecke und suchte sie hinaufzuziehen.

… Als gegen 6 Uhr – Herr Medizinalrat von Stransky in Bayreuth, dessen Interesse und tiefe Kenntnis in den Naturwissenschaften dem Dichter früher manche Stunde verschönt – ins Zimmer trat, er einen Blick nur von fern auf den Schlafenden warf, entfloh ihm sogleich der schmerzliche Ausruf: »Das ist der Tod!«

Immer heiliger wurden die Züge des Schlummernden, immer erhabner die Stirn, immer lauter sein Schlaf. Ringsum tiefe Stille …

Es war bald gegen 8 Uhr, seine Kinder hatten das Zimmer verlassen. Zu den Füßen des Lagers stand der Arzt; der Freund [Emanuel], die Gattin und ich saßen vor ihm; da ging der Atem langsamer, ein tiefer Zug – und er stand auf immer still; schnell ging über den Mund noch ein kleiner krampfhafter Zug – die tiefste Stille rings. …

 

 

Und Karoline schreibt am 24. November an Hofrat Franz Wilhelm Jung:

… Sein edles Gesicht, welches im Leben sich schon so sehr verändert hatte, nahm im Tode einen Ausdruck von Ernst und tiefem Nachdenken an, als wenn er die großen Angelegenheiten der Schöpfung nun tief durchdächte, und diesen Ausdruck behielt er bis zum vierten Tage, wo er unter feierlicher Begleitung in die Erde zu seinem geliebten Sohne gelegt ward. …

Zum Begräbnis schreibt Dr. Philipp Hausser:

… Am Abend des 17. November bewegte sich nach 5 Uhr unter dem Geläute sämtlicher Glocken der Stadt der Trauerzug von Jean Pauls Wohnung in der Friedrichstraße durch die Kanzleistraße über den Markt, an der Spitalkirche vorbei, die Erlanger Straße hinaus; sechzig Fackeln von Gymnasiasten und Lyceisten getragen, sowie Laternen und Pechpfannen erleuchteten das Dunkel. Auf das Kreuz, den Stadtkantor mit den Alumnen und die Trauermusik folgte, von zwei Fackel­trägern begleitet, ein Elementarschüler mit der »Levana«, ein Gymnasiast trug die »Vorschule der Ästhetik«. Neben dem hinter dem Geistlichen rollenden Leichenwa­gen, welcher von vier behangenen Pferden gezogen wurde, schritten die zehn Professoren des Gymnasiums, die Quasten des Bahrtuchs haltend, neben Fackel­trägern. Auf dem Sarge war das Manuskript der »Selina« in einem Lorbeerkranz befestigt. Außer der Familie und den Freunden folgten der königliche Generalkreis­kommissär von Welten, die ersten Civil- und Militärbehörden, der Stadtmagistrat und viele, viele Bayreuther. …

 

Und Dorothea Rollwenzel, am 17. August 1826 in ihrem Brief an Wilhelm Müller:

… Es ist nun ein Jahr, da blieb er weg und kam nicht wieder. Ich besucht ihn drinnen in der Stadt, noch ein paar Wochen vor seinem Tode; da mußt ich mich ans Bett zu ihm setzen, und er frug mich, wie es mir ginge. »Schlecht, Herr Lega­tionsrat,« antwortete ich, »bis sie mich wieder beehren.« Aber ich wußt’ es wohl, daß er nicht wieder kommen würde, und als ich erfuhr, daß seine Kanarienvö­gel gestorben wären, da dacht’ ich, er wird bald nachsterben. Sein Pudel überlebt ihn auch nicht lange, ich hab’ ihn neulich gesehen, das Tier ist nicht mehr zu kennen.

Gott, nun hast du ihn bei dir! Aber ein Begräbnis hat er bekommen, wie ein Markgraf, mit Fackeln und Wagen, und ein Zug von Menschen hinterdrein, man kann’s nicht erzählen. Ich war vorangegangen auf den Gottesacker hinaus, und wie ich so allein vor dem Grabe stand, in das er hinunter sollte, da dacht’ ich mir: Und da sollst du hinunter, Jean Paul? – Nein, dacht’ ich, das ist Jean Paul nicht, der da hinunter kömmt. Und wie der Sarg vor mir stand, da dacht’ ich wieder so: Und da liegst du drinnen, Jean Paul? – Nein, das bist du nicht, Jean Paul. – Sie haben auch eine Leichenpredigt gehalten, und sie haben mir einen Stuhl dicht beim Grabe gegeben, darauf hab’ ich sitzen müssen, als ob ich dazu gehörte, und als alles zu Ende war, haben sie mir die Hände gedrückt, die Familie und der Herr Otto und noch viele große Herren. …

 

Jetzt sind wir selbst, Peter und ich, auf dem Stadtfriedhof. Hier wurden Jean Paul und sein Sohn Max Emanuel begraben. Man hat den beiden einen großen Granit­findling aus dem geliebten Fichtelgebirge hingestellt, auf dem eine kleine Grabplatte mit ihren Namen und Geburt- und Sterbedaten befestigt ist.

Jean Pauls und seines Sohnes Max Grab auf dem Stadtfriedhof in Bayreuth
Jean Pauls und seines Sohnes Max Grab auf dem Stadtfriedhof in Bayreuth

Noch vor der Friedhofsmauer, beim Eingangstor in der Carl-Burger-Straße, fanden wir Groß- und Sonderstation 129 »Jean Paul und der Tod«:

Jean Paul und der Tod

Abschied von Jean Paul

 

Jean Pauls Begräbnis 1825 ähnelte, wie die Rollwenzelin später berichtete, dem eines Markgrafen. Als Jean Paul auf dem Stadtfriedhof in Bayreuth beerdigt wurde, läuteten alle Glocken der Stadt. Viele Bayreuther, Lehrer und Schüler und die Vertreter der Ämter und Behörden ehrten mit einem langen Trauerzug ihren ange­sehenen, wenn auch selten gelesenen Bürger, der neben seinem Sohn Max Emanuel in die Erde gesenkt wurde.

 

Einige Tage später hielt Ludwig Börne in Frankfurt seine berühmte Denkrede auf Jean Paul.

Schlaf, Traum und Tod

 

Das Sterben ist erhaben; hinter schwarzen Vorhängen tut der einsame Tod das stille Wunder und arbeitet für die andre Welt, und die Sterblichen stehen da mit nassen, aber stumpfen Augen neben der überirdischen Szene.

 

Darüber wurd’ er wach aus seinem letzten oder vielmehr vorletzten Traum; denn auf den langen Traum des Lebens sind die kleinen bunten Träume der Nacht wie Phan­tasieblumen gestickt und gezeichnet.

 

Um 11 einhalb Uhr nachts kamen Wutzens zwei besten Jugendfreunde noch einmal vor sein Bette, der Schlaf und der Traum, um von ihm gleichsam Abschied zu nehmen. Oder bleibt ihr länger, und seid ihr zwei Menschenfreunde es vielleicht, die ihr den ermordeten Menschen aus den blutigen Händen des Todes holet und auf euren wiegenden Armen durch die kalten unterirdischen Höhlungen mütterlich traget ins helle Land hin, wo ihn eine neue Morgensonne und neue Morgenblumen in waches Leben hauchen?

 

Es ist genug, meine Freunde – 

es ist 12 Uhr,

der Monatszeiger sprang auf einen neuen Tag und erinnerte uns an den doppelten Schlaf, an den Schlaf der kurzen und an den Schlaf der langen Nacht …

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

 

 

›Auf eine solche Nacht müßte kein Tag kommen, sondern etwas viel Schöneres, etwas viel Reicheres, was das durstige Herz befriedigt und das blutende verschließt.‹ 

›Und was ist das‹ fragt’ er.

›Der Tod!‹ sagte sie leise.

Sie hob ihre strömenden Augen auf zu ihm und wiederholte: 

›Edler Freund, nicht wahr, für mich der Tod?‹

 

Jean Paul »Siebenkäs«

Der Tod als Freund

 

Jean Pauls Verhältnis zum Tod und zum Sterben war schon immer ein sehr In­niges gewesen. Als »wichtigsten Abend« seines Lebens bezeichnete er seinerzeit den 15. November 1790, als den 27-Jährigen in Schwarzenbach eine Todesvision über­kam, in der er erfuhr,

 

»daß es schlechterdings kein Unterschied ist,

ob ich morgen oder in 30 Jahren sterbe«

&

und »daß ich die armen Menschen lieben soll,

die so bald mit ihrem bißchen Leben niedersinken.«

 

1796 publizierte Jean Paul seinen sprachmächtigen Text: »Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei«, der ihn durch Madame de Stael sogar in Frankreich bekannt machen sollte: Der Albtraum eines gottlosen Alls, in dem die Toten auferstehen, um zu verzweifeln.

Er erschien damals als »erstes Blumenstück« im Roman »Siebenkäs«. Grundlage für diese berühmt gewordene Rede war »Des todten Shakespeares Klage unter todten Zuhörern in der Kirche, dass kein Gott sei«, 1790 geschrieben und als »1. Ernsthafter Zwischenakt« für eine satirische »Bairische Kreuzerkomödie« gedacht.

 

Sein Text »Selina oder über die Unsterblichkeit« wurde als religionsphilosophische Fortsetzung des »Kampanertal« (1797) zwar nach dem Tod des 17-jährigen Sohnes Max 1821 wieder aufgenommen, aber erst 1827 posthum publiziert. Das Manu­skript wurde auf des Dichters Leichenwagen mitgeführt, gleichsam als seine Leichenrede.

 

Jean Pauls eigenes Dahinsiechen dauerte vier Jahre. Vom Tode des Sohnes an kränkelte der Dichter.

1823 begann sein Augenleiden.

Im Herbst 1825 verbot ihm der Arzt den Alkoholkonsum, da der Dichter und Biertrinker an der Brustwassersucht litt, dann erblindete er völlig.

 

Er arbeitete noch, diktierend, an seinem letzten Tag an der Ausgabe der Gesammel­ten Schriften. Am 14. November 1825 starb er in Bayreuth in der Friedrichstraße 5 mit den Worten auf den Lippen:

 

»Wir wollen’s gehen lassen.«

Kainachtal bei Hollfeld im November
Kainachtal bei Hollfeld im November

Ich füge nun Jean Pauls letzte geschriebene Worte aus »Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele« hinzu:

… »… Endlich erscheint die Hellseherin mit ihrem Wundergedächtnis und fragt uns, woher denn ihr Erinnern so wie ihr Vergessen komme, jenes, das in die Fernen und Nächte ihres Lebens, in die tiefsten Kinderjahre und tiefsten Ohnmachten reicht, und ihr Vergessen; da nach dem Schlafe sich das Auge wie eine Theater­versenkung oder wie ein Erdfall auftut und alle die neuen Reiche des Lebens verschlingt. Aber ist das Erinnern und Heraufholen untergesunkner Zeiten aus dem Meerboden der Vergessenheit nicht ein Beweis, daß es gleichsam noch ein ätherisches zweites Gehirn gibt, das bloß vom schweren drückenden des Tags befreit zu sein braucht, damit es den feinern ätherischen Anregungen des Geistes folgsam sich bequeme?

Und nun zuletzt jene damit verwandte Erscheinungen, wo kurz vor dem Sterben wie dem Wahnsinnigen die Vernunft, so dem Kranken das jahrelang eingesunkne Reich des Gedächtnisses wiederkehrt und wiederblüht! – Löset sich nicht der ab­sterbende Körper mit seiner dicken steifen Borke von einem Ätherleibe ab, der sich beweglicher nach den Anstrengungen des Geistes bequemt?« …

 

Und, wie sehnte ich mich danach, dass wir uns hier, in seinem Himmel, alle wiederbeginnen könnten:

… Und wollen wir uns nicht die Freude gönnen, den überfließenden Himmel uns auszuträumen, welcher uns aufnehmen müßte, wenn wir ebenso im höheren heißeren Brennpunkte einer zweiten Weltjugend mit höheren Kräften liebend ein größeres Geisterreich umfaßten und das Herz von Leben zu Leben immer weiter machten für das All? – …

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

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